Die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung Ungarns erfolgte vor allem durch vier zwischen 1938 und 1942 erlassene „Judengesetze“. Insgesamt lassen sich sogar 21 „Judengesetze“ finden, welche in diesem Zeitraum durch das ungarische Parlament verabschiedet wurden. Einzelne der darin enthaltenen Maßnahmen waren bereits seit 1919 gefordert worden. Umgesetzt von diesen Forderungen wurde damals jedoch „nur“ die Einführung eines Numerus clausus für jüdische Studierende (Gesetz 25 von 1920), welcher acht Jahre später infolge internationaler Proteste wieder abgeschafft wurde und auch die Begriffe „Rasse“ und „Nationalität“ wurden aus dem Gesetz gestrichen.
Seit der zweiten Hälfte der 1930er Jahre gab es zunehmend Überlegungen, jüdische Arbeit zu beschränken und jüdisches Kapital umzuverteilen. Am 29. Mai 1938 erging das Gesetz zur Sicherung des Gleichgewichts im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben („Erstes Judengesetz“), das darauf abzielte, der „Verjudung“ bestimmter freier Berufe (im Bereich Presse, Theater, Recht und Medizin) entgegenzutreten. Es führte einen Numerus clausus für Juden in Höhe von 20 %, gemessen an der Gesamtzahl der beschäftigten Juden, ein (§§ 4-8). Zudem sorgte es für eine Einkommensumverteilung, da die jährliche Gesamtsumme des Einkommens der arbeitstätigen Juden 20 % der jährlichen Gesamtsumme des Einkommens der übrigen Beschäftigten nicht übersteigen durfte (§§ 5, 8).
Ein Jahr später folgte das Gesetz zur Beschränkung des Judentums im öffentlichen und wirtschaftlichen Leben vom 5. Mai 1939 („Zweites Judengesetz“). Dieses setzte den Numerus clausus für Juden in freien Berufen auf 6 % herab und schloss sie von Führungspositionen aus (§§ 9 ff.). Neu waren zudem staatsrechtliche Beschränkungen in Bezug auf den Erwerb der ungarischen Staatsbürgerschaft (§ 3) und das Wahlrecht (§ 4) sowie der Ausschluss von der Bekleidung öffentlicher Ämter (§§ 5, 6). Verbunden war mit dem Gesetz auch eine deutliche Erweiterung des betroffenen Personenkreises. Während Juden 1938 noch maßgeblich über die Religionszugehörigkeit definiert wurden (§ 21 der Durchführungsverordnung zum „Ersten Judengesetz“), wurde mit Erlass des „Zweiten Judengesetzes“ der Begriff „Jude“ rassistisch definiert und auf das Merkmal der Abstammung ausgeweitet, sodass auch eine große Zahl zum Christentum konvertierter Juden erfasst wurde.
Am 2. August 1941 erging das Gesetz über die Ergänzung und Abänderung des GA. XXXI: 1894 über das Eherecht sowie über die im Zusammenhang damit erforderlichen Rassenschutzbestimmungen („Drittes Judengesetz“ und ungarisches Ehegesetz; dieses enthielt auch Regelungen zur Rassenhygiene). Das Gesetz verbat unter Strafandrohung die Eingehung einer „Mischehe“ zwischen „Juden“ und „Nichtjuden“ (§ 14). Auch der außereheliche Geschlechtsverkehr zwischen einem „Juden“ und einer „nichtjüdischen“ Frau wurde unter Strafe gestellt (§ 15).
Das Gesetz über den land- und forstwirtschaftlichen Besitz der Juden („Viertes Judengesetz“) von 1942 verankerte schließlich die völlige Entrechtung der jüdischen Bevölkerung. Artikel XV des Gesetzes schränkte das Recht auf Eigentum für Juden massiv ein und zielte damit auf ihre völlige Enteignung ab. Zu den wichtigsten Punkten der Gesetzgebung gehörten das Verbot des Landerwerbs, die Bestimmungen zur Beschränkung von Konzessionen, Pachtverträgen und Nutzungsrechten für Holz. So durften Juden weder land- oder forstwirtschaftliches Eigentum noch Eigentum in Dörfern erwerben. Zudem verpflichtete das Gesetz die jüdische Bevölkerung zur Eigentumsübertragung. Für das per Gesetz entzogene Eigentum wurde eine Entschädigung gezahlt.
Die ungarischen „Judengesetze“ lassen – trotz der Unterschiede im Detail – in Bezug auf die mit ihnen bezweckten Ziele Parallelen zum NS-Recht erkennen: Die „Rassenschutzbestimmungen“ des „Dritten Judengesetzes“ von 1941 waren an das „Mischehenverbot“ des deutschen Blutschutzgesetzes von 1935 und der dazugehörigen Ersten Ausführungsverordnung angelehnt. Gewisse Parallelen bestehen zudem bei der Einschränkung bzw. dem Verbot der Berufsausübung von „Juden“ in einzelnen Berufsgruppen, die in Deutschland ab 1933 schrittweise erlassen wurden und der Ausgrenzung sowie der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung dienten (zu nennen sind z.B. das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums und das Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7. April 1933 sowie die später verhängten Berufsverbote für jüdische Ärzte und Rechtsanwälte).
Auch die seit 1939 bestehende ungarische Definition von „Jude“ weist teilweise Ähnlichkeiten zu den vorausgegangenen deutschen Begriffsbestimmungen auf. Der Historiker Randolph L. Braham (1922-2018) bezeichnet die antisemitische Gesetzgebung in den Jahren 1938/1939 daher auch als einen symbolischen Tribut an das „Dritte Reich“.
In der Forschungsliteratur bestehen über den Grad des Einflusses des NS-Rechts auf die ungarische Gesetzgebung – trotz unbestrittener Parallelen – geteilte Ansichten. Verwiesen wird dabei nicht nur darauf, dass einzelne Maßnahmen der Entrechtung von Juden in Ungarn bereits seit 1919 gefordert wurden, sondern auch auf die sich grundsätzlich unterscheidenden innenpolitischen Bedingungen beider Länder.
So waren die ungarischen Gesetze auf die dort vorherrschenden sozialen Gegebenheiten zugeschnitten. Ein Beispiel für diese Anpassung ist die Definition „Jude“, welche noch über die deutsche Gesetzgebung hinausging. Sicher ist dennoch, dass die Hauptlinien der ungarischen Gesetzgebung durch deutsche Ideen beeinflusst wurden.
Helen Abram und Veronika Lehotay
Quellen
Gesetz zur Regelung der Immatrikulation an den Universitäten, der Technischen Hochschule, der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät in Budapest und an den Rechtswissenschaftlichen Akademien vom 26. September 1920
Gesetz zur Sicherung des Gleichgewichts im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben vom 29. März 1938
Gesetz zur Beschränkung des Judentums im öffentlichen und wirtschaftlichen Leben vom 5. Mai 1939
Gesetz über die Ergänzung und Abänderung des GA. XXXI: 1894 über das Eherecht sowie über die im Zusammenhang damit erforderlichen Rassenschutzbestimmungen vom 2. August 1941
Erste Durchführungsverordnung zum ungarischen Judengesetz, Mitteilungsblatt des National-Sozialistischen Rechtswahrerbundes 1938, S. 99
Neue Verordnungen über die Regelung der Judenfrage, ZOER 1944, S. 129-130
Rasseschutzmaßnahmen in Ungarn, Mitteilungsblatt des National-Sozialistischen Rechtswahrerbundes 1938, S. 38
István Arató, Gesetz vom 29. Mai 1938 zur Sicherung des Gleichgewichts im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben (Judengesetz). Vorbemerkung, ZoeR 1938/39, S. 311-316
István Arató, Gesetz vom 5. Mai 1939 zur Beschränkung des Judentums im öffentlichen und wirtschaftlichen Leben. Vorbemerkung, ZoeR 1939/40, S. 278-281
István Arató, Gesetz vom 29. August 1939 über Änderung und Ergänzung des Gesetzes L v. J. 1879 betr. Erwerb und Verlust der ungarischen Staatsangehörigkeit. Vorbemerkung, ZoeR 1939/40, S. 557-559
István Arató, Rassenschutzmaßnahmen in der ungarischen Ehegesetznovelle, ZOER 1941/42, S. 381-389
István Arató, Volksnahes und volksfremdes Recht, ARSP 1943, S. 145-153
János Csiky, Die gesetzliche Regelung der Judenfrage in Ungarn, ZOER 1942, S. 60-72
Josef von Hegedüs, Die Rechtslage der israelitischen Glaubensgemeinschaft G.A. VIII:1943, ZOER 1944, S. 130-132
Georg Szombatfalvy, Judengesetz und Schulwesen in Ungarn, Antrittsvortrag, Journal de la Société Hongroise de Statistique 17 (1939), S. 387-399
Forschungsliteratur (Auswahl)
Randolph L. Braham, The Politics of Genocide, The Holocaust in Hungary, 1994
Christian Gerlach/Götz Aly, Das letzte Kapitel, Realpolitik, Ideologie und der Mord an den ungarischen Juden, 1944/1945, 2002, insb. S. 37-50
Eszter Cs. Herger, Eherecht in Ungarn (1918–1945), in: Martin Löhnig (Hrsg.), Kulturkampf um die Ehe, Reform des europäischen Eherechts nach dem Großen Krieg, 2021, S. 41-81 (insb. S. 74 ff.)
Veronika Lehotay, Szabadságjog-megvonó intézkedések a Horthy-korszakban, különös tekintettel a zsidótörvényekre, 2012
Brigitte Mihok, Ungarische Judengesetze, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Handbuch des Antisemitismus, Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart, Bd. 4, 2011, S. 410-412
Ignác Romsics/Krisztina Koenen, Trianon und der Holocaust, Die ungarischen Traumata des 20. Jahrhunderts, Osteuropa 62 (2012), S. 57-72
Gabi Tremmel, „… daß der Frieden erhalten bleibe“, Antijüdische Gesetzgebung in Ungarn und „Anschluss“ Österreichs an NS-Deutschland im Spiegel des Pester Lloyd, 2008, insb. S. 20-33
Krisztián Ungváry, Die „Judenfrage“ in der Sozial- und Siedlungspolitik: Zur Genese antisemitischer Politik in Ungarn, in: Dittmar Dahlmann/Anke Hilbrenner (Hrsg.), Zwischen großen Erwartungen und bösem Erwachen, Juden, Politik und Antisemitismus in Ost- und Südosteuropa, 1918–1945, 2007, S. 287-297
Bildquellen
Ungarischer Abstammungsnachweis von 1944 zur Feststellung der „Rassenzugehörigkeit“, https://holocaust.archivportal.hu/hu/fuchs-tibor-szarmazasigazolasi-ugye
Schaubild zur NS-Rassengesetzgebung von 1935, https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/501380/vor-85-jahren-nuernberger-gesetze-erlassen/